„Yoga is NOT yummy“ …

„Yoga is NOT yummy“ …

„Yoga ist NOT yummy!“ … hat meine Lehrerin Kino MacGregor mal gesagt. Und mit dieser Aussage sind mir Steine vom Herzen gefallen. Es hat mir unglaublich viel geholfen, Yoga so zu verstehen wie ich es heute tue.

Ich war zuerst etwas verwirrt, ist mir das Wort „yummy“ doch bisher nur in Zusammenhang mit leckerem Essen untergekommen. Doch bei meinen Recherchen im Netz fand ich tatsächlich recht schnell hunderte von Yogaseiten, die damit werben: „Yummyyoga“, „Twenty minutes of yummy yoga“, „Yummy-Yogaflow“ usw.

Der Yoga-Jahrmarkt

Kino bezog sich mit dieser Aussage auf eine Sichtweise, wie Yoga heute zu einem sehr großen Teil angeboten wird. Nämlich als wohltuend, angenehm … einfach nur hmmmmm …! In den Medien sehen wir gutaussehende Menschen (überwiegend junge Frauen), die es kaum erwarten können, sich fröhlich auf die Matte zu schwingen, um sich dort wohlig zu räkeln. Kerzen brennen, meditative Musik läuft im Hintergrund, jede Bewegung wirkt, als wäre sie eine absolute Wohltat. Uns wird vermittelt: „Komm in eine Yogastunde und Du wirst Dich genauso wunderbar fühlen!“

Mich macht diese Darstellung mehr und mehr wütend, denn genauso ist Yoga eben NICHT! Genau NICHT! Yoga is NOT yummy!!!

Ups, bist Du jetzt enttäuscht? Wollen wir uns denn nicht mit Yoga etwas Gutes tun, unserem Körper und Geist ein Wohlgefühl schenken? Warum sollten wir das denn dann überhaupt tun?

Wenn neue Schüler zu mir kommen, die noch keine wirkliche Vorstellung von Yoga haben, dann sind sie oft auf der Suche danach, ihrem Körper etwas Gutes zu tun und Entspannung im Geist zu finden. Sie haben eine vage Vorstellung davon, dass ich ihnen etwas vorturne, sie mitmachen und am Ende direkt völlig entspannt aus der Stunde rausgehen. Irgendwie weiß man zwar schon, dass das ja so eigentlich nicht sein kann, aber Yoga muss halt wohl irgendwie magic sein … keiner kann sich’s vorstellen, aber man hört und liest ja immer davon, dass es so wohltuend und entspannend sei. Dann muss das wohl klappen!

Meine Yoga-Praxis

Und dann denke ich an meine eigene Yogapraxis und stelle fest, irgendwas stimmt da doch nicht. Ich empfinde die Bewegungen auf der Matte eben oft als gar nicht so wohliges Räkeln, sondern fühle mich wie ein steifer schwerer Sandsack, der sich über die Matte schleift, während um mich herum dutzende andere dies genauso tun. Der Schweiß tropft – manchmal auch vom Nachbar – auf meine Matte. Die Hintergrundmusik – wenn ich bei meinem Lehrer in Indien praktiziere – sind hupende Autos oder Gemüsehändler, die ihre Ware lautstark auf der Straße anpreisen. Wenn ich zuhause übe, ist es das Telefon, der Rasenmäher des Nachbarn oder die in meinem Kopf kreisenden Gedanken was heute noch alles zu tun ist. Manche Bewegungen fühlen sich an, als wären sie unmöglich. Manche Asanas geben mir das Gefühl, ich werde sie wohl niemals meistern. Jeden Tag fühlt sich der Körper unterschiedlich an. Das Aufstehen am frühen Morgen fällt schwer. Nach der täglichen Praxis fühle ich mich meist nicht luftig-leicht, sondern die Muskeln fühlen sich schwer und verkatert an und ich frage mich, wie sie das Ganze am nächsten Tag wohl überhaupt wieder bewerkstelligen können.

Auf und ab …

Dann, am nächsten Tag, plötzlich fliege ich über die Matte. Kraftvolle Asanas fühlen sich auf einmal leicht und schwerelos an. Ich fühle mich nach der Praxis energiegeladen und gut. Na endlich, „dann haben die in den Yoga-Journalen also doch recht“ denke ich als ich mich am Abend glücklich ins Bett lege. Und sehe vor dem Einschlafen noch vor meinem geistigen Auge wie ich morgen früh durch die Vinyasas fliege und mich mühelos in Supta Kurmasana wickle.

Mit dieser Intention steige ich dann am nächsten Morgen fröhlich auf meine Matte und freue mich schon auf diese tolle Praxis. Doch irgendwas stimmt da doch nicht! Warum sind denn die Sonnengrüße heute so anstrengend? Die Zeit fühlt sich an als möchte sie nicht vergehen. Asana um Asana fühle ich mich schwerer und Vinyasa für Vinyasa wird es mühsamer. Wie war das gleich nochmal mit dem Fliegen? Supta Kurmasana fühlt sich an wie wenn der Schildkröte der Panzer zugewachsen wäre und meine Arme & Beine eher abbrechen mögen als dass sie sich ineinander wickeln. Aaaahhhh … die Gedanken fangen an zu kreisen, ich frage mich warum das was gestern so mühelos war, sich heute anfühlt, als hätte ich es noch nie zuvor gemacht. Gefühle wie Wut, Verzweiflung, Traurigkeit beginnen sich breitzumachen. Vor allem als ich aus den Augenwinkeln meine Matten-Nachbarin erspähe, wie sie schwerelos in die Haltungen gleitet, als wäre es das Müheloseste auf dieser Welt.

Was hält mich bei der Stange wenn’s doch gar nicht yummy ist?

Warum habe ich dann noch nicht längst das Handtuch geworfen? Warum tue ich mir all das seit so vielen Jahren eigentlich an? Weil ich irgendwann erkannt habe, dass es nicht um diese eine Stunde geht! Es geht im Yoga um ein langfristiges Ziel, um ein langfristiges Wohlgefühl und ein langfristiges besseres Klarkommen auf das Leben. Das Leben ist nämlich auch nicht immer yummy, oder? Nein, das Leben ist genau SO wie ich oben meine Yogapraxis beschrieben habe. Oft zäh, frustrierend und anstrengend, dann wieder wunderbar glücklich und voller Leichtigkeit! Wie Yin & Yang, wie Tag & Nacht. Ohne Dunkelheit kein Licht und ohne Schwere keine Leichtigkeit? Ja, vielleicht ist das so …

Auf jeden Fall spiegelt die Yoga-Praxis unser Leben. Mit all seinen Schatten- und Licht-Seiten. Mehr sogar, sie will uns stark machen für dieses Leben! Sie will die Wogen zwischen Yin & Yang, zwischen Dunkelheit & Licht glätten. Irgendwann nach ein paar Jahren habe ich mich daran gewöhnt, dass es mich nicht ärgern muss, wenn die Praxis schwer und anstrengend ist, wenn scheinbar leichte Asanas nicht klappen wollen. Ich habe erkannt, dass es einfach solche und solche Tage gibt, wie es dies allgemein in unserem Leben gibt. Egal, nimm es an wie es heute ist und guck mal wie es morgen sein wird. Hab nicht zuviele Erwartungen, sei nachsichtig und verzeihend mit Dir selbst.

„The method“

„It is a method“ hat Pattabhi Jois über Ashtanga Yoga gesagt. Genau das ist es was es vom heute so modernen „Yummy-Yoga“ unterscheidet. In unserer Welt wird den Menschen suggeriert, man geht einmal pro Woche in ein Yogastudio, wird dort von einem „Vorturner“ bespasst und geht dann mit eben diesem „yummy-Gefühl“ nach Hause. Hat man dazu dann noch das richtige Equipment, wie die teuerste Yoga-Leggings, die angesagteste Matte und den neuesten veganen Fertigsnack, dann wird das schon mit dem Wohlgefühl und der Stressreduktion! Versprochen!

Leider nein! Einfach NEIN! „Ashtanga Yoga IS hard!“ – auch ein Zitat von Kino McGregor – bringt es auf den Punkt. Es ist nicht yummy, es ist hart! Es ist eine Disziplin und zwar täglich! Nicht nur an den guten Tagen, wenn wir frei haben und Zeit haben uns auf die Matte zu stellen, wie eine tolle Freizeitaktivität, die man für’s Wochenende plant. Nein. Ob du schlecht geschlafen hast, ob du Stress in der Arbeit hast, ob Du Beziehungsprobleme hast oder lieber auf dem Sofa gammeln würdest … Ashtanga Yoga schickt Dich IMMER auf deine Matte!

Mach dich fit für’s Leben

Der Ansatz funktioniert also genau andersherum: Geh auf die Matte und mach dich fit für das Leben, den Alltag! Nicht: Geh auf die Matte wenn es der Alltag zulässt! Denn genau wenn das Leben nicht yummy ist, brauchen wir die Yogapraxis in Wahrheit am allernötigsten. Sie ist nicht das Tüpfelchen auf dem „i“, wenn das Leben sowieso grade wie geschmiert läuft, sondern sie ist die Schmiere wenn es hakt! Sie will unser Spiegel sein, der uns zeigt, wo wir gerade stehen, wie es uns geht mit allen Auf’s und Ab’s. Und das funktioniert eben nur, wenn wir es diszipliniert täglich tun. Was hilft es uns wenn wir nur in den Spiegel blicken nachdem wir von der Kosmetikerin und dem Friseur kommen? Eben!

Gewöhne dich also gleich mal dran, dass du in einer ernstzunehmenden Yogaschule richtig lernen musst. DU SELBER musst lernen, nicht Nachturnen oder tun was sich grad gut bzw. yummy anfühlt. Nein, du wirst Disziplin lernen, dich regelmäßig auf deine Matte zu stellen. Du wirst Selbständigkeit in der Yogapraxis lernen, damit du irgendwann unabhängig von den Öffnungszeiten der Shala bist und somit auch wirklich in der Lage bist an der Praxis festzuhalten. Egal wo du bist, egal wie deine Lebenssituation gerade aussieht. Das bedeutet nicht, dass du keinen Lehrer mehr aufsuchen sollst. Das bedeutet, dass du nicht mehr abhängig davon bist, ob gerade ein Lehrer da ist oder nicht! Du wirst lernen dir selber mit all deinen Schwächen und Hindernissen ins Gesicht zu blicken und früher oder später aufhören dagegen anzukämpfen, sondern dich so annehmen wie du bist.

Und wenn dann wieder so ein Tag kommt, an dem die Praxis einfach nicht laufen will, an dem du dich fühlst wie ein steifer Sack, dann weißt du: Es ist nur ein Moment! Morgen (oder übermorgen) kann es wieder ganz anders sein. Du regst dich irgendwann nicht mehr drüber auf und bleibst cool! Jetzt hast du wirklich was gelernt in der Yogaschule! Dann, ja genau DANN, hat Yoga angefangen seine Wirkung zu tun und wir wissen, dass es uns stark macht für’s Leben!!! Und was uns stark macht für’s Leben, war eigentlich noch nie yummy, oder?

3 Gedanken zu „„Yoga is NOT yummy“ …

  1. Liebe Sabine,
    du triffst meine immer wiederkehrenden Gedanken auf den Punkt!
    Ich habe schon oft erfahren, wie Menschen zum Thema Yoga stehen. Eine Freundin meinte einmal zu mir: „Ich habe das einmal probiert und mir war es zu wenig Action!“ (sie hat früher viele Jahre Ballett gemacht).
    Meine Praxis lehrt mich, wie du schon sagtest, beide Seiten: Yin und Yang, Entspannung, aber auch (An-)Spannung.
    Ich war schon oft an dem Punkt, an welchem mich meine Praxis beflügelten, mich stark machten, als könnte ich Bäume ausreissen. Wohingegen der nächste Tag nicht sonderlich „ertragreich“ war.
    Deine Worte machen mir Mut.
    Ich praktiziere Yoga noch nicht lange, jedoch zu wissen, dass auch eine Langjährige an ihre „Grenzen“ stößt und nicht immer ein „guter“ Tag ist, lässt mich aufatmen und mich wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

    Namasté und bis spätestens auf dem AKF 🙂

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